Dem
Buch ging ein viel zu guter Ruf voraus, an dem es sich messen lassen musste –
bei mir aber Erwartungshaltungen schürte, welche nur bedingt erfüllt wurden.
Nicht unbefriedigend und keines Falls schlecht, aber auch nicht in dieser
überwältigenden, melancholischen Szenerie welche ich erwartet hatte. Diese
klingt zwar doch irgendwie nach, was sehr lobenswert ist und für das Buch
spricht, wenn es über das Ende hinaus wirkt - ließ aber für mich persönlich ein
wenig zu lange auf sich warten.
Der
Einstieg ist dennoch flott und klar, man schreibt das Jahr 1983 und die junge
Alice will nicht. Sie ist auf einer Skischule und soll heuer den Abhang
hinunter fahren und es den anderen beweisen. Der Wunsch ihres Vaters wird dabei
zu ihrem gemacht, ob sie will oder nicht. Es ist die Erwartungshaltung, das Gefühl
determiniert zu sein, ein unfreier Druck – es beklemmt sie und sie nässt sich
in Folge regelmäßig ein. Die Schilderungen mögen irritieren, sie sind genau und
klar, im Detail womöglich überflüssig und leicht ekelig, aber dennoch
authentisch und sollten nicht abschrecken. An jenem Tag kotet sie sich sogar
ein und beschließt beschämt aber auch aus Trotz und Frust alleine zu fahren.
Der Tag ist Nebel verhangen und es muss zum Unglück kommen. Sie stürzt schwer,
verletzt sich und ihr Bein ist von nun an versteift. Das Vertrauen zum Vater
verloren.
1984
erleben wir den zweiten Protagonisten Mattia und seine behinderte
Zwillingsschwester Michela. Was in ganz jungen Jahren noch nicht allzu sehr
augenscheinlich war, wird für Mattia störend und lästig. Ständig muss er auf
seine Schwester aufpassen, in der Schule sitzt er neben ihr und ihre Existenz
ist seinem Ruf nicht gerade dienlich, denn irgendwie trägt er sie immer mit
sich herum, ist sie zwischen ihm und den anderen Kindern. Er schämt sich
mitunter für sie und ihr Verhalten. Als er auf eine Geburtstagsparty eingeladen
wird, inklusive seiner Schwester und sie zusammen hingehen sollen, lässt er sie
für wenige Stunden alleine im Park sitzen. Mit tragischem Ausgang, Michela
verschwindet und ist nicht mehr da, tot.
Danach
setzt die Handlung wieder 1991 ein und beide Akteure schleppen ihre Probleme
untrennbar mit sich herum. Alice ist magersüchtig, Mattia verletzt sich selbst
– beide sind sie auf eine gewisse Art und Weise isoliert. Und irgendwie – so
werde ich das Gefühl nicht los – sind beide Familien mit den Problemen
überfordert, erkennen sie nicht wirklich oder wollen sie nicht erkennen. Sind
selbst von der Vergangenheit gefangen. Zumindest können ihre Kinder nicht auf
sie zählen oder hoffen.
Alices
Bezugspunkt ist Viola, die unumstrittene Chefin unter den Mädchen. Viola
dominiert, hat mehr Erfahrung mit Jungs, Sex und Drogen. Erst spielt sie mit
ihr und erweist ihr dann angeblich die heiß begehrte Gunst und Aufmerksamkeit.
Mattia hat als einzigen Freund Denis, dessen größtes Geheimnis und Problem ist,
schwul zu sein. Viola ist schließlich die ausschlaggebende Person, welche Alice
und Mattia miteinander bekannter macht, sie indirekt verkuppelt und die
Erzählstränge zusammen führt. Denis macht daraus kurzfristig noch ein
kompliziertes Dreigestirn, verliert aber zunehmend an Bedeutung.
Von
nun an ist es ein stetiges sich zueinander wenden und nähern, sich doch nicht
treffen, vom Schicksal auseinander gerissen werden und wiederfinden. Hier
trifft der Titel auch perfekt zu. Es gibt immer Primzahlpaare welche nah
beieinander stehen, aber dennoch immer irgendwie getrennt sind.
Und
so flieht sich Mattia in die Mathematik und Alice in die Fotographie, sind
füreinander gemacht und finden doch nicht zueinander, was die Tragik des Buches
unterstreicht.
Aber
genau hier sehe ich das Problem. Das Buch ist sanft geschrieben und auch
wahrlich weit weg vom triefendem Kitsch, aber es schildert das Drama nicht laut
und deutlich, was nicht zwangsläufig schlecht sein muss – sondern viel mehr in
leisen Zwischentönen. In meinen Augen geht hier aber viel zu viel verloren,
wäre durchaus mehr drin gewesen.
Nach
den ganzen Beschreibungen und Vorschusslorbeeren, hatte ich richtig großes und
imposantes Kino erwartet, welches mich emotional gnadenlos niederreißt. Ich
wollte mitleiden und konnte diesem Wunsch zu selten nachgehen. Von
Gleichgültigkeit kann nicht die Rede sein, aber es fehlt ironischerweise wie
zwischen den Protagonisten immer noch dieser letzte Funke, der eine Moment, die
kleine Passage. Ohne Zweifel gibt es die Momente, an denen man am liebsten den
ein oder anderen Charakter zu rufen möchte was er dann da gerade bitte tut, ob
er blind sei – aber das reicht nicht ganz.
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