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oder verpass das Schönste.
Buch, Bücher, am büchsten - hier gibt's viele bunt durchgewürfelte Buchrezessionen und Empfehlungen, weil es eben mehr als nur ein Zeitvertreib ist.

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Montag, 16. Dezember 2013

Petra Hammesfahr - Erinnerung an einen Mörder



Der Anfang erinnert mich unweigerlich an „Sie nannten mich Es“ von Dave Pelzer und es gibt in der Tat viele Gemeinsamkeiten. Ein kleines Kind (der achtjährige Felix), eine tyrannische, brutale, faule und sadistische Mutter (Lotti) und ein oft fehlender Vater, welcher es nicht schafft der Mutter die Stirn zu bieten (Thorsten) – lustigerweise wie eben in obig erwähntem Buch ebenfalls in der Feuerwehrmann ist, wenngleich nicht hauptberuflich. Die jüngeren Schwestern (Annika und Sabine) kann man unter Umständen ebenso dazu zählen, anders ist aber die fiese Großmutter mütterlicherseits (Giftzahn), welche Thorsten für einen Nichtsnutz hält und welcher ihre unschuldige und hochbegabte Tochter so früh geschwängert hat. Beruflich schuftet Thorsten in einer Kunststoffgießerei und hilft manchmal in Extraschichten dem Onkel (Peter) von Felix in dessen Logistikunternehmen indem er die ein oder andere Tour fährt, während er sonst ab und an bei der Feuerwehr Menschen rettet und dafür von Felix als Held verehrt wird. Das Geld muss er fast vollständig der raffgierigen Lotti und dem Giftzahn abdrücken, welche einen Großteil davon sinnlos in Kleider, Schminke und dergleichen verfeuert.

Der Anfang ist daher mehr ein unfaires Martyrium, bis eines Tages schreckliches geschieht und die ganze Familie abgeschlachtet wird. Lediglich Felix überlebt, da er nicht rechtzeitig von der Schule zurück kam. Erinnern kann er sich daran nicht wirklich, obgleich er den Tatort als erster damals gesehen hatte. Die Bilder haben sich in seinem Kopf festgesetzt, aber eine Chronologie oder einer Sicherheit ob ihrer Wahrheit hat er nicht.

Sein Onkel Peter nimmt sich seiner an, adoptiert ihn und schickt ihn auf eine angesehene Privatschule, bzw. Internat um ihn dort auszubilden und als seinen Nachfolger im inzwischen florierenden Unternehmen hochzuziehen. Thorsten ist inzwischen geächtet und als der Täter ausgemacht, welcher sich feiger weise am Schluss noch selbst umgebracht hat. Ein aggressiver und streitsüchtiger Mensch soll er gewesen sein, unzuverlässig und ein Taugenichts. Felix Weltbild und Ansicht seinem Vater gegenüber hat sich drastisch geändert und eine 180° Kehre hingelegt, schien ihm doch sein damaliges Bild komplett verklärt zu sein. Die Vater-Sohn Beziehung wandelt sich im Verlauf noch einige male, was Thorsten, Peter und Felix anbelangt, was durchaus interessant gestaltet ist.

An seinem 16. Geburtstag geschieht aber plötzlich etwas, worauf hin er meint sich an die damaligen Begebenheiten zu erinnern. Wie der Klapptext unlängst verrät irrt er sich. Hier hatte ich erwartet, dass aufgrund dessen er in den Fokus eines Killers gerät, den falschen laufen lässt oder dergleichen – immerhin wird mir das Buch als ein Psychothriller verkauft und bis dahin ist schon einiges an Zeit vergangen und sooo dick ist das Buch auch wieder nicht. Aber das Buch verrät nicht viel und lässt den Leser noch sehr lange im Unklaren.

Es gibt mehrere Phasen in denen sich das Leben wieder beruhigt, bis ein neuer Verdacht aufkeimt, dass die offizielle Geschichte nicht ganz den Wahrheiten entspricht. Mal gibt ihm Thorstens Mutter Hinweise, mal ist es ein Bekannter oder eine Hellseherin und auch wenn viele Überlegungen ins Leere laufen, die Zweifel bleiben – zumindest beim Leser. Das streckt sich über eine große Zeitspanne, reißt immer wieder alte Wunden auf und macht Felix unsicher darüber, ob das – an was er sich erinnert – das ist was er wirklich sah, oder das was man ihm erzählte. Sowohl offiziell als auch inoffiziell. Dazu plagen ihn mysteriöse und verschlüsselte Träume und Visionen, welche in Verbindung mit dem Tattag stehen – er ihre Symbolik aber nicht sicher entschlüsseln kann.


Die Spannung welche hier aufgebaut wird, ist in meinen Augen daher nicht wirklich herkömmlicher Art. Es gibt, das Ende ausgenommen keine direkte Bedrohung in der Gegenwart, aber eine sehr große Unsicherheit bezüglich der Vergangenheit und ihrer weitreichenden Konsequenzen. Man will eben unbedingt wissen, was damals wirklich geschah, wer lügt und wer nicht und wenn, aus welchen Motivationen.

Interessant finde ich hier an dieser Stelle auch noch die Sprache, sie ist vermeintlich sehr roh und leicht derb in den Dialogen was ungewohnt, aber durchaus authentisch ist. Da werden Arbeiterlieder zitiert und gesungen, Beleidigungen und Flüche ausgestoßen aber alles in einem sinnvollen Rahmen. Ich habe mich nicht direkt daran gestoßen, musste mich aber daran erst gewöhnen. Am Ende einige ich mich da auf eine perfekt platzierte Hassliebe bezüglich der Sprache. Sie ist im Großen und Ganzen gut und treffend, muss einem aber vor allem in den Dialogen liegen auch wenn sie vollkommen ihre Berechtigung hat.

Die Geschichte ist bis hin zum Ende sehr verworren und wird immer blutiger, schafft es aber sich glaubwürdig aufzulösen. Ob die Handlungen der einzelnen Protagonisten immer Sinn machen ist eine andere Frage, sie sind aber nicht unlogisch. Der Psycho-Stempel ist gegen Ende aber dann doch verdient, insgesamt ein guter Thriller welcher sich erfreulich vom Gros abhebt, auch wenn die Geschichte doch recht vertraut anfing. Denn damit hat es im Endeffekt überhaupt nichts mehr zu tun.

Lohnt sich meiner Ansicht nach zu lesen.

Montag, 18. November 2013

David Hewson – Epiphanias



Über drei Monate habe ich für dieses Buch mit dem interessanten Titel gebraucht, was Angesichts der Fülle an Zeit welche ich theoretisch hatte nicht unbedingt ein gutes Zeugnis ist. Ob es schon ein Indiz war, dass auf der Rückseite eben nur Petra und Freundin lobende Worte vergießen und kein renommiertes literarisches Blatt? In Zeiten der Alles-ist-toll Klappentexte nur mehr eine vage Vermutung. Aber bleiben wir am besten gleich beim Klappentext, der klingt immerhin so vielsagend und verheißungsvoll.

„Weihnachten 1975: Im Drogenrausch geschieht ein furchtbarer Mord. Nur einer begeht ihn, aber die anderen sehen zu. Zwanzig Jahre später sehen sich die Freunde von damals mit der fast vergessenen Geschichte konfrontiert. Nun droht das Geheimnis zu ihrer aller Schicksal zu werden, denn eine mysteriöse Frau will die Vergangenheit nicht ruhen lassen – und bald holt das einstige Grauen auch die Gegenwart ein.“

Soweit so gut, das „bald“ möchte ich an dieser Stelle aber noch besonders betonen, darf gerne schon mit ironischem Unterton gelesen werden! Aber alles zu seiner Zeit, das Buch fängt mit einer Art Prolog 1975 an, die fünfjährige Florrie und ihr Zwillingsbruder Miles begleiten ihre Mutter bei Weihnachtseinkäufen und sind als Engel verkleidet. Das Mädchen, welches diesen Spitznamen hasst ist sehr wüst und dominant ihrem nur 20 Minuten jüngeren Bruder gegenüber und schlägt ihn in die Flucht.

Schnitt – 1995, Paul Dunsay tritt auf und wird von Hal angerufen, Quinn sei wieder frei – was diesen sehr schockiert. Im nächsten Kapitel taucht dann noch Joni auf und engagiert den Detektiv Tom. Verwirrt? Ging mir ebenso, die ersten 40 Seiten hatte ich zweimal gelesen weil ich nach einer kleinen Lesepause absolut keine Ahnung mehr hatte was jetzt gerade abgeht.

Dem absolut nicht zuträglich ist die Tatsache, dass ziemlich schnell nicht mehr gekennzeichnet wird und klar ist, wann die Handlung spielt. 1975 oder 1995? Die Akteure sind größtenteils nämlich die gleichen. Und die Zeit wechselt nicht kapitelweise sondern teilweise einfach über einen neuen Absatz ohne irgendein Indiz oder Anzeichen, was ich als sehr lästig empfunden habe. Wäre es sinnstiftend, okay – dann lässt sich darüber reden, aber die Wechsel scheinen mir absolut willkürlich und es dient eben keinem „höheren“ Zweck, nicht zu wissen in welcher Zeit wir uns mal wieder empfinden. Vor allem wenn der Absatz nicht mal über eine Seite geht und ich nicht sicher sein kann, ob dann nicht gleich schon wieder ein Wechsel stattfindet. Halte ich für unnötig kompliziert und für einfach keinen angenehmen Schreibstil, hat mich sehr genervt!

Die wichtigsten Personen sind die Freunde Hal, Louise, Paul, Quinn und Margie. Quinn ist mehr der dominante, intelligente aber auch leicht verrückte Leader, Louise die ruchlose Schlampe aus hohem Hause welche allein vom gesellschaftlichen Stand nicht dazugehören sollte, Hal der Organisator der immer alles irgendwie regelt, Margie eher dauerbekifft und daher sehr passiv und zurückhaltend und Paul ein leichtgläubiger und naiver Mensch, welcher nicht unbedingt allein aus menschlichen Gründen so perfekt in die Gruppe passt und so etwas wie der Hauptheld der Geschichte ist.
1975 ist das Setting dem der Hippies nachempfunden, 1995 haben sich die Wege größtenteils getrennt. Quinn sitzt wegen dem damaligen Vorfall im Gefängnis, Hal ist inzwischen steinreich und mit Louise verheiratet, Paul schlägt sich irgendwie mit Musik durchs Leben und von Margie fehlt jede Spur.

Dazu kommt 1995 Joni welche die damalige Geschichte unter ungeklärten Beweggründen aufklären will. Zwischendrin tauchen wieder Rückblicke zu Florrie und Miles auf und ja, man kann erahnen auf was das hinausläuft. Nur sollten die damaligen Geschichten unter Verschluss bleiben. Da ist es wenig zu dienlich, dass sich Joni an Paul wendet und diese durchaus etwas füreinander empfinden. Zwischendrin wird viel verschleiert, geplant und intrigiert und ach ja…

Der ominöse Mord? Taucht irgendwann nach 250 Seiten erst auf, wann genau kann ich jetzt schon gar nicht mehr sagen – lässt aber lange auf sich warten. Dass ist das nächste Problem. Die Geschichte bleibt kaum haften, weil sie nicht wirklich interessant erzählt wird oder gestaltet ist. Da reißt auch eine leicht aufkeimende Stimmung gegen Ende nichts mehr raus. Zäh ist wahrscheinlich noch leicht untertrieben. Es ist ermüdend und sehr schleppend. Daher ist es auch hinfällig hier mehr vom Inhalt zu erzählen, diesen mühsamen Kampf muss man sich hier leider schon selbst zumuten, will man nicht die Hälfte schon kennen.

Hat mir auf jeden Fall nicht wirklich Spaß gemacht und ich musste mich echt durchzwingen unter dem Credo „Ich lese JEDES Buch fertig“ (Anm. – fast, das ein oder andere Buch habe ich durchaus schon abgebrochen u.a. „Kohlhaas“ von Kleist, die „Die Bücherdiebin“ von Zusak etc. pp.) Denn irgendwie schafft es das Buch kaum zu fesseln und wenn, dann nur ein paar wenige Seiten. Es ist sprachlich nicht wirklich schlecht, aber erzähltechnisch viel zu belanglos und eben viel zu zäh. Ich mag keine Bücher in denen kaum Fortschritte passieren, bzw. sie eigentlich nicht wesentlich sind während man auf das groß angekündigte Ding wartet.

Was das komische und durchaus nervige da plötzlich eingeschobene „drei Quarks für Muster Mark“ und „rassenfrassenrassenfrassenrassenfrassenrassenfrassen“ dauernd soll weiß ich bis heute nicht. Ersteres könnte ich noch mit Phantasie der Physik zuordnen, was im Kontext Sinn ergeben würde – der Geschichte hilft es aber null. Das Finale bis zur Verhaftung ist schön durchdacht, die Bilder gegen Ende sind überraschend klar und wehmütig, aber das war es auch schon. Für den Rest kann ich leider kaum eine Leseempfehlung aussprechen. Schade.

Donnerstag, 22. August 2013

Yrsa Sigurdardóttir – Geisterfjord



Was mir an dem Buch auf Anhieb gefiel, war das wunderschöne Cover. Diese ausstrahlende Tiefe, die Verlassenheit und das rote Boot, welches doch ins Auge fiel, aber weniger strahlend denn melancholisch verblasst und trotz allem nicht kraftlos. Das mystische Zeichen, welches einem auch im Buch Kapitel für Kapitel folgt, ohne Bedeutung aber zur ansprechenden Zierde, strahlt für mich ebenfalls eine gewisse Faszination aus.

Nun haben gute Bücher aber im Regelfall mehr zu bieten, als nur ein Cover – daher wenden wir uns am Besten gleich zum Inhalt. Was ich sehr gut finde ist, dass gleich am Anfang eine Übersicht aller wichtigen Charaktere aufgelistet ist ohne dass damit irgendetwas gespoilert wird. Denn wer kennt es nicht? Man hatte lange Zeit nicht mehr zu lesen und stolpert hilflos und fragend über x-beliebige Namen welche man verzweifelt versucht zuzuordnen. Man möchte eine Rezession verfassen, welche man zeitlich viel zu lange hat schleifen lassen und zig romanfremde Namen und Handlungsstränge stellen sich einem in den Weg. *g*

Aufgeteilt auf zwei Handlungsstränge wäre das zum einen Freyr, ein Arzt und Psychiater welcher inzwischen getrennt von seiner Frau Sara lebt seit ihr gemeinsamer Sohn Benni spurlos verschwunden ist. Dieser wird nach der rätselhaften Verwüstung eines Kindergartens von der örtlichen Polizei um Hilfe gebeten, bestehend aus der Kriminalkommissarin Dagný und Veigar.
Auf der anderen Seite sind das Katrín und ihr Mann Garðar sowie Líf, Freundin von Katrín und Witwe, nachdem ihr Mann – der beste Freund von Garðar verstarb. Die wirtschaftliche Krise Islands wird in diesem Thriller gut eingefangen und schnell deutlich. Während Katrín wenigstens ein bisschen Geld als Lehrerin verdient, sucht Garðar ständig nach Arbeit. Zu dritt schmieden sie daher die Idee, ein altes, heruntergekommenes Ferienhaus für den Sommer instand zu setzen. Irgendwo in einem ausgestorbenen und verlassenen Dorf, mitten auf einer abgeschiedenen Insel. Zwar ist es just Winter, die Lage sehr abgeschnitten und viel Licht hat man auch nicht unbedingt, aber so – zumindest nach Plan – könnte man alle wichtigen Arbeiten erledigen und im Sommer schon die ersten zahlenden Gäste erwarten.

Was mich an dieser Stelle doch etwas gestört und irritiert hat. Irgendwie bereuen es alle drei sofort bei Ankunft überhaupt erst abgereist zu sein. Vor allem Katrín klammert sich gern im Konjunktiv. Leute ehrlich? Ihr plant so ein Projekt, kauft schon zig Sachen dafür ein und wollt sofort die Segel streichen? Aber sie bleiben dann doch da und vereinbaren mit dem Fährmann den Abholtermin in ein paar Wochen. Von nun an sind sie auf sich allein gestellt.

Es dauert am Anfang ein wenig bis der Plot an Spannung gewinnt, dafür wird dann atmosphärisch eine brutal dichte Szenerie entworfen. Denn irgendwie scheinen die drei nicht alleine auf der Insel zu sein. Jemand ist noch dort und die mysteriösen Vorkommnisse häufen sich.
Auch Freyr kommt erst ewig nicht voran, ein rätselhafter Selbstmord und gespenstische Erscheinungen fesseln aber auch hier und es wird zwangsläufig eine Verbindung zwischen allem klar. Sein verschwundener Sohn und ein vor 30 Jahren vermisstes und totes Kind auf der verlassenen Insel deutet auf mehr als nur einen Zufall hin.

Das ganze ist wunderbar spannend inszeniert und teilweise erstaunlich gruselig und wäre trotz des schleppenden Einstiegs verdammt gut – wäre das Ende nicht so feige, welches manche Logiklöcher mit offenem Ausgang und Gespensterspuk zu kaschieren versucht.

Ich war am Ende ziemlich unschlüssig was ich davon halten sollte, lustigerweise gibt es durchaus auch leichte Parallelen zu Fitzeks „Die Therapie“ welche ich wenige Tage zuvor gelesen und hier auch schon behandelt habe. Nur löst sich das Problem – sofern von richtig lösen überhaupt die Rede sein kann – ein wenig uneleganter.

Enttäuscht bin ich also insofern, da noch so viel mehr hätte möglich sein können. Wenn ich allein daran denke, was für eine cineastische Atmosphäre hier im Mittelteil aus dem Hut gezaubert wird. Das ist irre gut und nutzt das Setting perfekt aus. Nur muss man es erst bis dahin aushalten und sich nicht von den ständigen „Wir-hätten-lieber-doch-nicht“ verkraulen lassen und der Schluss - naja. Ich glaub ich bin da noch immer nicht ganz zu 100% dahinter gestiegen, vielleicht auch deswegen weil manch Detail bewusst ausgespart wird. Mitunter leider auch aus Notwendigkeit. Schade, schade, schade… - zwar immer noch gut aber zu viel handfestes Potential vergeudet.

Sonntag, 16. Juni 2013

Sebastian Fitzek – Die Therapie



Ein Unbekannter dürfte der Autor inzwischen längst nicht mehr sein, für mich war er es aber bislang und der Ersteindruck ist gewaltig. Was für ein Kracher!

Der Thriller arbeitet viel mit verschiedenen Ebenen. Es fängt mit dem Prolog an, jenem denkwürdigen Tag als Viktor Lorenzs zwölfjährige Tochter Josy spurlos bei einem Arztbesuch verschwindet und nie wieder auftaucht. Dabei saß Viktor gerade noch im Wartezimmer, ließ seine Tochter zum ersten Mal allein ins Behandlungszimmer gehen und plötzlich soll sie nie da gewesen sein. Kein Termin und keine Zeugen können seine Version bestätigen, für den Psychiater bricht eine Welt zusammen.

In der Gegenwart ist Viktor selbst in Behandlung, gefangen und kurz vor einem Prozess – versucht aber sein Gegenüber von seiner Unschuld zu überzeugen und möchte frei gelassen werden, in dem er seine Version der Geschichte erzählt.

Diese setzt ein paar Jahre früher, fünf Tage vor „der Wahrheit“ ein. Viktors Leben ist mittlerweile vollkommen aus den Fugen geraten. Seine Frau hat ihn verlassen, seinem alten Beruf geht er schon länger nicht mehr nach. Als er von einer Zeitung um ein Interview gebeten wird, gibt er nach und versucht diesen schmerzenden Prozess zu beenden. Dafür mietet er sich eine abgeschottete Insel und versucht in Ruhe mit der Situation klar zu kommen und sich nach langer Zeit der Öffentlichkeit zu stellen.

Diese Ruhe währt allerdings nicht sehr lange, als eine mysteriöse Unbekannte vor seiner Tür steht. Sie möchte von ihm behandelt werden, da ihre eigenen Erfindungen sie verfolgen. Viktor lehnt ab, doch als die Schriftstellerin von einem verschwundenem Mädchen berichtet welches haargenau auf Josy zutreffen könnte, wittert er eine Chance. Er willigt ein sie zu therapieren.

Was folgt ist sehr undurchsichtig. Viktor bekommt wieder Alpträume, er wird vor eben jener Frau gewarnt und ihre Schilderungen deuten viel an, sprechen aber nichts konkret aus. Die Grenze zwischen Realität und Fiktion wird fließend, was wenn sie die Wahrheit spricht, wenn sie etwas weiß?

Der Erzählstil ist extrem spannend und perfektioniert auch eine von mir gerne verwendete Methode. Alles steuert dramatisch auf eine Entdeckung, eine Wende, einer Überraschung, einer Katastrophe zu und zack kommt der gnadenlose Cliffhänger und das nächste Kapitel beginnt, mitunter in einer anderen Szene oder Einstellung. Fitzek geht darüber sogar noch hinaus, in dem er gezielt Andeutungen und vermeintliche Hinweise streut wie – „hätte er bloß einmal nachgedacht“ – lässt den Leser damit sehr im Unklaren und ködert ihn. Manchmal ist es die richtige Spur, oft aber auch eine Finte.

Das Ende dürfte nicht unumstritten sein, abhängig davon wie realistisch man dies hält, wobei die wenigsten fähig für eine fachliche Analyse wären. Es war für mich zwar ab einem gewissen Punkt erahnbar, ich wurde aber geschickt mehrmals von diesem Verdacht abgebracht und die Endsequenz ist definitiv eine unvorhersehbare Überraschung.

Es ist die Frage inwieweit man dies akzeptiert. Wenn man sich darauf einlässt hat man hier ein ultraspannendes Buch mit vielen geschickten, überraschenden Wendungen in einem flotten Erzählstil, andererseits könnte man rückwirkend das ein oder andere anzweifeln, die Pointe als etwas konstruiert empfinden.

Da ich mich glücklicherweise zu Erstgenannten zähle, hatte ich ein erstklassiges Lesevergnügen mit einem Buch, welches ich so schnell nicht aus der Hand legen konnte. Ich kann es definitiv empfehlen, sehr guter und extrem spannender Thriller!

Freitag, 22. März 2013

Andreas Laudan – Pharmakos



Der vorliegende Thriller geht ohne Umschweife zur Sache. Volker Kühn hat seine besten Tage hinter sich. Nach einer Krebserkrankung verlor er seinen Job und besiegelte damit seinen sozialen Abstieg bis hin zur Zwangsumsiedlung und landete in einem wenig schicken Wohnheim. Wir schreiben das Jahr 2019 und in Deutschland brodelt es. Über 10 Millionen Arbeitslose und Vorboten eines Bürgerkriegs zwischen Sozialhilfeempfängern und Arbeitern schweben drohend über der Szenerie.

Volker Kühn befindet sich anfangs im städtischen Krankenhaus als sein Zimmergenosse plötzlich zu röcheln anfängt und kurze Zeit später stirbt. Vergiftet durch eine ominöse Gruppe von Interessensvertretern rund um die Pharma- und Krankenkassenlobby, welche damit das kostspielige Problem der Sozialfälle „lösen“ will. Und Volker hat das Gift auch schon in seinem Blutkreislauf. Ihm bleiben maximal 12 Stunden und damit beginnt eine pausenlose Hatz.

Verzweifelt wendet er sich an die Presse, sucht nach einem Gegenmittel und möchte diesen Skandal publik machen. Dabei reist er durch halb Deutschland, verfolgt von Auftragskillern und der Polizei welche ihn kalt stellen oder zumindest festnehmen will.

Die Idee dieser Utopie ist durchaus beängstigend und sozialkritisch, allerdings nicht ausreichend genug beschrieben. Generell konnte mich das Buch wenig überzeugen. Der Erzählstrang ist rasant, schnell und spannend – aber nicht unbedingt fesselnd. Schuld dürfte die fehlende Empathie gegenüber dem Protagonisten sein, ebenso die Erzählart. Die Actionszenen sind detailliert und spektakulär, erinnern mich vom Format und Klasse aber an mittelmäßige Fernsehserien wie „Alarm für Cobra 11“. Der Schreibstil ist teilweise suboptimal was die Generierung von Spannung anbelangt.

Ebenso wenig glaubwürdig ist es, wie leicht Volker Verbündete findet und die Presse plötzlich auf seiner Seite hat. Das geht wesentlich zu schnell, die Dialoge beziehungsweise die darauf erfolgende Handlungen nicht immer logisch oder nachvollziehbar. In der Realität käme Volker so leicht nicht durch.

Das alles schmälert leider sehr die interessante Idee und lässt unabhängig von der leider fehlenden, genaueren Auseinandersetzung mit der politisch brisanten Grundidee Zweifel an der Authentizität offen.

Schade, denn aus dem Buch und der Handlung hätte man wesentlich mehr machen können. So bleiben gute Ansätze bedauerlicherweise nur sehr mittelmäßig verwertet.

Sonntag, 10. März 2013

Simon Beckett – Tiere



Die Besonderheiten des vorliegenden Thrillers fasst Simon Beckett selbst am Besten in seinem Vorwort zusammen. Das könnte man als übertriebenes Eigenlob abtun, oder aber als kritische und realistische Selbsteinschätzung, denn ganz unberechtigt ist dies nicht.

Hauptperson ist Nigel, welcher gleichzeitig auch noch als Ich-Erzähler fungiert. Das ist insofern wichtig, da somit eine intensive Nähe zum Protagonisten geschaffen wird, was mindestens zwei konträr zueinander stehende Empfindungen auslöst.

Zum einem kann Nigel einem sehr leid tun. Nigel scheint geistig ein wenig zurückgeblieben. Nicht direkt dumm aber mit einer Forest Gump typischen Naivität ausgestattet und sehr primitiven und simplen Ansprüchen. Nach dem Tod seiner Eltern lebt er alleine in deren ehemaligen Pup und alles was er braucht sind seine Comics und ein regelmäßiger und ausgedehnter Filmkonsum. Das seine bevorzugten Filme nicht unbedingt seinem Alter entsprechen stört ihn nicht. Der Filmverleiher nimmt ihn deswegen durchaus auf die Schippe, aber Nigel reagiert gelassen. Er hat eine Arbeit auf der er regelmäßig Blätter und Akten kopieren darf und zwei nette Kolleginnen. Ihnen gegenüber verhält er sich zwar sehr schüchtern und wie ein tollpatschiger Teenager und er kann es auch nicht ab, wenn Karen mit ihm aus Spaß flirtet, aber Cheryl findet er ganz okay. Wenn es nicht gerade dunkel ist und er nachts allein auf der Straße unterwegs ist, ein Zustand der ihn etwas ängstigt, kann nichts seine immer gute Laune beeinflussen.

Auf der anderen Seite hat Nigel aber ein dunkles Geheimnis, denn er hält sich „Tiere“ im Keller. Warum kann er nicht genau sagen oder reflektieren, aber er hält sie für menschlichen Abschaum. Dementsprechend lockt er immer mal wieder, am Rande der Gesellschaft stehende Menschen aus fadenscheinigen Gründen zu sich um sie zu betäuben und in den Keller zu sperren. Mit Hundefutter und Katzenstreu kümmert er sich jeden Tag fürsorglich um sie, auch wenn diese am liebsten ganz woanders wären. Aber davon weiß niemand etwas, ahnt es nicht einmal. Verwunderung? Abscheu? Hass? Alles möglich.

Der Erzählstrang plätschert recht ruhig vor sich hin, immer wieder unterbrochen von Erinnerungen Nigels an seine Kindheit, seine Eltern und dem Pup. Es ist im Großen und Ganzen eine durchaus tragische, mitleiderregende Geschichte – welche gekonnt flankiert wird von den Erinnerungen an seine ersten Tiere. Daher der eingangs erwähnte Ich-Erzähler. Er verrät viel über sich, aber doch nicht alles. Man kann ihn verstehen, aber nicht endgültig begreifen.

Würze bekommt das Ganze, als ihm sein letzter Fang nicht gehorchen will und Karen und Cheryl ihn in seinem Pup besuchen wollen. Es ist schwer hier meine Kritik zu äußern ohne noch viel mehr vom Inhalt zu verraten. Als einziger Hinweis soll ein klitzekleines Fragezeichen hinter der Intention bestimmter Personen stehen.

Die Schlussszene hat auf jeden Fall Klasse und unterstreicht den unnahbaren Charakter Nigels perfekt. Die voran gegangene Entwicklung sehe ich kritisch, wirkt sie mir gegen Ende hin zu dominant. Die Rollen von Cheryl und Karen sind ebenfalls nicht ganz durchsichtig. Aus der Sicht Nigels nach zu vollziehen, objektiv betrachtet aber ein klein wenig fragwürdig. Nicht unauthentisch, aber falsch und doch nicht konsequent.

Ich kann noch mehr rumeiern, würde aber schlussendlich alles verraten. Der gegenwärtige Plot ist nicht zu lange gestrickt, es wird viel über die Retroperspektive erzählt und ausgeleuchtet. Der Erzählstil ist daher nicht schleppend, aber gemächlich. Es wird ein komplexer Charakter erbaut ohne ihn zu enträtseln.

Das Thema Spannung ist ein zweischneidiges Schwert. Es ist ohne Zweifel ein Page-Turner, aber eben nicht durch rasende Action generiert. Stellenweise ist nichts zwingend, dennoch notwendig. Ich fand es ehrlich gesagt innovativ, von der Aufmachung her gut. Nicht perfekt, aber gut gelungen.

Mein Problem dürfte die Identifikation mit Nigel sein, welche bewusst nicht einfach und idealerweise nie vollständig ist. Man kann vieles nachvollziehen, aber gut heißen und verstehen muss man es nicht. Damit ist einer der wenigen wunden Punkte gleichzeitig die Stärke des Buches. Es muss irgendwie genau so sein und das kann ganz schön interessant sein…

Freitag, 28. September 2012

Minette Walters – Der Nachbar



Ein sehr gutes und spannendes Buch war in meinen Augen „Der Nachbar“ von Minette Walters. Man kann dem Buch vorwerfen, ein etwas zu rundes und pathetisches Ende a là Hollywood zu haben, wobei dies auf keinen Fall im Sinne von Friede, Freude, Eierkuchen verstanden werden darf.
Aber wer sich daran nicht stößt, findet hier eine wunderbare Mischung aus Krimi, Thriller und Drama mit einem unterschwelligen Appell zur Vernunft. Das Thema ist brisant und lässt Gemüter gewöhnlich und nachvollziehbar hoch kochen, zeigt aber wunderbar warum Mäßigung wichtig ist. Sollte wirklich jeder lesen müssen, der sich per se für das Thema Todesstrafe ausspricht.

Und Tote gibt es hier! Gleich zu Beginn wird rückblickend vorgegriffen, als von schrecklichen Ausschreitungen mit 3 Toten und über 180 Verletzten berichtet wird. Eingeleitet durch Polizeiberichte, Aktenzeichen und Funksprüchen werden die Entwicklungen und der Ablauf des Massakers beschrieben.

Schauplatz ist ein kleiner, eingeschlossener Randbezirk einer englischen Stadt, welcher nicht gerade zu den schönsten Ecken gehört und als Problembezirk inklusive typischer, krimineller Elemente gilt. Dennoch hält das Viertel zusammen und als durchsickert, dass ein Pädophilier direkt hier einquartiert wurde, fängt das Pulverfass Feuer. Verstärkt wird das Ganze noch, als plötzlich die kleine Amy spurlos verschwindet.

Die Bewohner riegeln den Bezirk komplett ab und ziehen aufgeheizt und unter Alkohol und Drogen stehend zur, zunächst friedlichen Demo.

Geplant hatten dies Melanie Patterson und ihre Mutter, nachdem sie dies spitz bekamen. Zwar hatte ihr frisch aus dem Gefängnis entlassener Mann Jimmy sie davon abhalten wollen, zumal er – sich noch auf Bewährung befindend – keinen Ärger anzetteln wollte, aber der Eifer der Frauen war nicht zu bremsen.
Mitten im Geschehen ist Dr. Sophie Morrison, eine im Viertel angesehene Ärztin, welche ausgerechnet an diesem Tag nach Feierabend doch noch einen Arztbesuch abstattet und dummerweise diesen genau im Haus des Pädophilien Milosz macht. Dieser entpuppt sich zwar als harmlos und als am Verschwinden der kleinen Amy nicht beteiligt, das Problem ist aber mehr der Patient selber: Sein tyrannischer Vater Franek. Ein ausgeprägter Sadist, der vollkommen unkontrolliert seinen Begierden nachkommen kann, da Milosz nur tatenlos zusieht.

Sophie ist vollkommen auf sich allein gestellt und kann auch nicht fliehen. Denn die Demo gerät natürlich schnell außer Kontrolle als die ersten Brandbomben von außen geworfen werden. Die Polizei indes kann nur tatenlos zusehen. Die Straßen wurden mit brennenden Barrikaden versperrt, der Hubschrauber ist hilfloser Beobachter der grausamen Szenerie welche in Wut und Panik umschlägt.

Jimmy wird unweigerlich mit reingezogen, als er erst eine verletzte Polizistin findet, welche warum auch immer sich allein in diesem Problembezirk aufhält und zudem seine schwangere Frau dringend aus dem Gedränge zu retten ist.

Parallel dazu ermittelt die Polizei eifrig und sucht verzweifelt Amy – wohl wissend, dass diese nicht vom Verdächtigen entführt wurde. Ebenso verzweifelt versucht sie, durch Kontaktpersonen den Mob unter Kontrolle zu halten und zu retten was zu retten ist.

Die Geschichte funktioniert hervorragend mit vielen Schauplatzwechseln und vielen, wirklich starken Charakteren – die man trotz ihrer teilweise vorhandenen Naivität lieb gewinnt, beziehungsweise sich um sie sorgt.

Man weiß, wie viele Leute sterben werden, aber nicht wer und möglich ist dabei sehr viel.

Ein ungemein fesselndes Buch, das eben mehr als nur ein Krimi, sondern auch eine Milieustudie ist. Ob dies zu 100% authentisch ist, wag ich nicht zu beurteilen – mir schien es aber ansprechender zu sein, als „Am Ende war die Tat“ von Elizabeth George, auch wenn diese sich viel länger ausschließlich damit befasste.

Von meiner Seite aus, wirklich empfehlenswert – sofern man sich am Eingangs Erwähntem nicht zu gestört fühlt.

Dienstag, 4. September 2012

Jennifer Egan – Im Bann



Als echte Perle erwies sich „Im Bann“ von Jennifer Egan, welches meine Erwartungen mehr als nur übertraf. Besonders gefiel mir die sehr bildliche und atmosphärische Beschreibung, welche mich sehr ansprach und ein sehr überzeugendes Kopfkino auslösten. Das fing schon auf der ersten Seite an wohlgemerkt!

Aber erst einmal zur Handlung: Danny war ein Vorzeigejunge, ganz im Gegensatz zu seinem Cousin Howard. Inzwischen ist Danny allerdings nur noch ein abgefrackter Internetfreak welcher zwanghaft jederzeit erreichbar sein muss. Howard hingegen meldet sich plötzlich aus dem Nichts. Inzwischen reich, erfolgreich, angesehen und mit einer Aura der Macht umgeben, lädt er seinen Cousin zu einem Treffen auf einer verfallenen Burg irgendwo in Europa ein. Dort soll Danny Howard helfen daraus ein Hotel zu machen. Danny sagt zu, aber sehr bald plagen ihn düstere Vorahnungen. Denn was genau soll er dort tun? Ist dies alles eine Falle, eine verspätete Rache? Immerhin hatte er Howard in der Kindheit sehr übel mitgespielt.
Parallel dazu erfahren wir von Ray, welcher im Gefängnis sitzt und von einem Zellenmitinsassen zur Teilnahme an einem Schreibkurs bei der Lehrerin Holly überredet wurde um diesem nicht länger auf die Nerven zu gehen. Widerwillig rafft er sich auf und erzählt die Geschichte von Danny und Howard, der alten Baronin welche noch im Bergfried haust und sich partout nicht vertreiben lässt und aus der ferne viel jünger als aus der Nähe aussieht. Gleichzeitig hält sich Ray nervige Mitinsassen vom Hals und versucht die Aufmerksamkeit von Holly zu erreichen. Und ist alles nur erfunden oder basiert es auf wahren Gründen?
Der Roman balanciert sehr geschickt zwischen Realität und Fiktion, Humor, Liebe und hilfloser und doch alberner Tragik. Er ist zum einem leuchtend hell, spannend und doch düster. Nicht direkt gruselig, aber schaurig, surreal und teilweise ungewöhnlich beklemmend.

Gegen Ende wird er in meinen Augen leider etwas unübersichtlich, die Ereignisse überschlagen sich zu schnell, die Szenen werden zu hart ohne Überleitung geschnitten. Die letzte Perspektive wird erst nach einigen Seiten verständlich. Wenigstens die Überraschungen haben so ihren Namen auch verdient. Gelöst, aber nicht perfekt.
Trotz alledem ein wunderbares Buch, sehr fesselnd, sehr stark geschrieben und bildhaft wie selten ein Buch. Erfrischend und angenehm überraschend. Sollte mehr als nur einen Blick wert sein!

Dienstag, 28. August 2012

Jack Ketchum – Amokjagd






Ein ultrafieses Buch! Carole Gardner wurde jahrelang von ihrem Ehemann gequält, geschlagen und missbraucht. Trotz Trennung und richterlichen Verbots ihr näher zu kommen, lässt ihr Ex-Mann Howard keine Ruhe. Zusammen mit ihrem neuen Freund Lee plant sie daher den perfekten Mord an Howard.

Dieser funktioniert auch erstaunlich gut, wird leider aber von Wayne Lock gesehen. Einem ausgesprochenem Psychopathen welcher gerade erst seine Freundin beim Sex beinahe erwürgt hatte und den Gedanken einen Menschen zu töten liebt. Und dieser meint jetzt endlich jemanden gefunden zu haben, mit dem er seine kranken Vorlieben ausleben kann, da diese etwas geschafft hatten, wovon er bislang nur träumen konnte.

Und es sei wohl nicht zuviel verraten, wenn ich sage, dass er die beiden unfreiwillig mit auf seine geplante Tour nimmt.
Hierbei könnte ich mokieren, dass der Titel absolut bescheuert übersetzt wurde. Auf Englisch schallt sich das Buch „Joyride“ zu Deutsch „Spritzfahrt/Spritztour“ und dies ist dem Ganzen, wenngleich bitterironisch mehr entsprechend als der übersetzte Titel Amokjagd. Zur Verdeutlichung: Entgegen der weitläufigen, medialen Falschinterpretation ist ein Amoklauf, eine Amokjagd oder was auch immer Amok heißt, abgeleitet von der Malaiische Sprache (meng-âmok) –„in blinder Wut angreifen und töten“ NIEMALS eine gezielte oder durchgeplante Tat sondern immer eine einem blindwütigen Impuls folgende Reaktion!

Hier wird nie und nimmer in auch nur irgendeiner Art und Weise Amok gelaufen! Diese Erwartungshaltung, welche man beim Lesen des Titels somit bekommen könnte, erweist sich als vollkommen falsch.

Wir haben mit Lock einen verdammten Bastard, welcher in seiner wahnsinnigen Welt die Begriffe „Bewunderung“, „Freundschaft“ und „Anerkennung“ in verheerend falsch gemeinter Gutmütigkeit fehlinterpretiert und eiskalt durchgeplant seinen irrsinnigen, willkürlichen Höllenritt mit seinen beiden Geiseln als Zeugen durchführt.

Dem Autor ist hier auf erschreckende Art und Weise ein kompliziertes Monster gelungen, welches man als Leser am liebsten durch den Buchdeckel hindurch erschlagen möchte um den Beiden zu helfen. In bislang keinem hier vorgestellten Roman ist es einem Autor bislang so gut gelungen, überhaupt eine und dann so intensive Wut auf einen künstlich erschaffenen Charakter zu erzeugen.

Die Sichtwechsel zwischen potentiellen Opfern, der Polizei und Lock inklusive seiner unfreiwilliger Begleitung schafft ein ultrafieses Bild der Hilflosigkeit und baut einen
unglaublichen Sog auf. Ich hab dieses Buch irre schnell verschlungen und kann es jedem empfehlen, der es seinem Puls zutraut nicht sofort auf 180° hochzuschnellen.

Ein richtig, richtig gemeines Buch…

Samstag, 4. August 2012

Cody McFadyen – Das Böse in uns


Auch wenn es sich langsam wiederholt, auch hier haben wir wieder einen abgeschlossenen Thriller aus einer Serie rund um das Ermittlerteam Smoky Barrett. „Das Böse in uns“ mag daher auf zurückliegenden Fällen zurückweisen, anders kann ich mir diese kumulierte Anzahl an Vergewaltigungen gleich nicht erklären.

Denn Cody McFadyen lässt ziemlich schnell durchschimmern, dass die smarte FBI Ermittlerin eine sehr schwere Vergangenheit hatte und mehrfach brutal von einem gejagten Killer vergewaltigt wurde und schwere Schnittverletzungen im Gesicht abbekam. Dabei wurden auch ihr Mann und ihr Kind getötet. Auch eine Freundin wurde in einem anderen Fall getötet und schwer vergewaltigt und kurz danach war davon schon wieder die Rede.

Und das ist mir ehrlich gesagt zu viel. Mag sein, dass dies über mehrer Bücher aufteilt nicht so wirkt, aber dies so geballt am Anfang zu erfahren wirkt in dieser Häufigkeit unauthentisch und zweckmäßig, nicht realistisch oder sonst wie glaubwürdig. Ich hab nichts dagegen, wenn der Held ein tragischer Held mit schwerer Vergangenheit und Problemen ist, aber seinen Protagonisten mehrfach dermaßen ein hartes Schicksal reinzuwürgen finde ich übertrieben und konstruiert.

Um uns nicht in Geschmäckerfragen zu verlieren zum Inhalt:
Die transsexuelle Lisa, als Dexter geboren wurde unbemerkt an Bord eines Flugzeuges ermordet. Was die Sache noch um einiges pikanter macht ist, dass sie bzw. er der Sohn eines Kongressabgeordneten ist, welcher in Kürze gewählt werden will. Die Verbindung zueinander wurde im gemeinsamen Einverständnis verheimlicht, um einer politischen Karriere nicht im Weg zu stehen. Genau dies droht nun allerdings im ungünstigsten Zeitpunkt aufzufliegen. Deshalb wurden Smoky und ihr Team dem Fall unter größter Wahrung dieses Geheimnisses hinzugezogen.

Dabei bleibt es allerdings nicht. Nicht nur, dass sich keine verwertbaren Spuren finden lassen, viel mehr scheint Lisa nicht das erste Opfer gewesen zu sein. Kurz danach erwischt es schon die Nächste und der Killer stellt reihenweise Videos von den letzten Sekunden der immer weiblichen Opfer ins Netz. Er hat es sich auf die Fahne geschrieben die dunklen Geheimnisse welche allen verschwiegen wurden ans Licht zu bringen, bevor er den Tötungsakt einleitet und seine Opfer somit in seiner verquerten Weltanschauung zu erlösen. Damit spielt er ein offenes Katz und Maus Spiel mit den Ermittlern, da er irgendwie entdeckt werden will um seine Botschaft, der vollkommenen Beichte, der Menschheit endgültig zu verkünden. Somit wird das ganze ein stetiger Wettlauf mit der Zeit.

Und hier finde ich einige Punkte an dem ansonsten 1A Thriller kritisch. Der Autor spielt gezielt mit dem „Jeder hat ein Geheimnis“ Thema und lässt fast alle Charaktere des Ermittlerteams im Verlauf mehr oder weniger diese Unterprüfung durchlaufen. Vor allem die kursiv gedruckten Gedankengänge und Gewissensbisse von Smoky find ich in ihrer Sprache und Aussage oft leicht moralisch aufdringlich.

Nicht dass sie direkt den Leser ansprechen und belehren würden, aber diese Zwiegespräche und Selbstzweifel haben in meinen Augen etwas zu sehr vereinnahmendes.
Kombiniert mit der obig erwähnten Ausrichtung auf genau diese dunklen Geheimnisse klingt das für mich zu gewollt.



Wenn man jetzt noch das Manko des zwar sympathischen, aber irgendwie auch (zu) giftigen Teams sich selbst gegenüber und die urplötzliche Herleitung zur Lösung des Falles, welches ich aus diesem Blickwinkel nicht nachvollziehen kann, wohlwollend übersieht, dann hat man hier tatsächlich ein sehr gutes Buch mit viel Spannungspotential.

D.h. konkret: ein wirklich tolles Buch, welches mir leider nicht rund genug ist, da es teilweise zu gewollt und gezielt ist. Abgesehen von diesen bedauerlichen Feinheiten kann man, sofern nicht zu zartbesaitet – gerne und gut zugreifen.

Donnerstag, 28. Juni 2012

Mo Hayder – Die Sekte


Ja wie fang ich am besten damit an. Von Mo Hayder hatte ich vor langer Zeit schon „Die Behandlung“ gelesen und fand es nicht schlecht, aber unnötig brutal. Leider scheint dies eines ihrer Stilmittel zu sein, denn auch „Die Sekte“ muss in Sachen Brutalität, Absurditäten und ekelhaften Beschreibungen in keiner Weise zurückstecken.

Vermischt mit satanistisch angehauchten Ritualen und Symboliken ruft dies bei mir schon leicht spöttisches Stirnrunzeln hervor. Meiner Meinung nach muss man nicht zwanghaft absurde und brutale Szenerien entwerfen um wirklich „verstörend und eindringlich“ zu sein, wie The Observer zitiert wird.

Aber kommen wir zum Plot:

Eine abgeschottete Insel vor der Küste Schottlands auf der sich eine kleine Gruppe eingenistet hat, welche sich „Gemeinde für Psychogenes Heilen“ schallt und vom umliegenden Festland mit Gerüchten übersäht wird. Dazu trägt neben der Verschlossenheit auch noch ein abartig, übler, ekelerregender, schrecklicher, widerwärtiger Geruch bei, welcher zusammen mit schrecklich zerhäckselten, verstückelten Tierkadavern regelmäßig ans Festland angeschwemmt wird. Hinzu kommen noch Videoaufnahmen eines merkwürdigen Wesens mit einem gespaltenen Schwanz.

Um diesen Gerüchten den Wind aus den Segeln zu nehmen, lädt die Gruppe den berühmten Journalisten Joe Oakes ein, welcher sich auf die Entzauberung übernatürlicher Ereignisse spezialisiert hat. Dieser hat nebenbei noch eine offene Rechnung mit dem scheinbar charmanten Sektenführer Malachi Dove. Er wittert also eine große Story.

Der Plot wird abwechselnd aus der Perspektive Joes und von seiner, sehr unsympathischen und hysterischen Frau Alexandra erzählt. Mir persönlich ging diese Figur jedenfalls tierisch auf die Nerven.

Und ich müsste, um mehr zu tun als den Klapptext nachzuerzählen, ein ganz klein, klein wenig Spoilern! Ich versuch das ganze insofern zu verschleiern, dass ich dir Schriftfarbe auf weiß stelle, d.h. der Text ist nur sichtbar, wenn man entsprechenden Bereich mit dem Cursor markiert.

Denn angekommen muss Joe feststellen, dass Malachi gar nicht mehr unter den Gemeindemitgliedern weilt, sondern sich abgesondert hat und anderweitig auf der Insel ein schwer gesichertes Domizil errichtet hat. Als er sich entgegen aller Warnungen auf den Weg dorthin macht, muss er bei der Rückkehr feststellen, dass Malachi – endgültig den Verstand verloren – sämtliche Gemeindemitglieder abgeschlachtet hat und sich auf Festland abgesetzt hat. Und dort ist unter anderem auch Joes Frau. Das ganze hat sich somit gedreht und Jäger und Gejagter haben die Positionen getauscht. Mehr will ich auch schon gar nicht verraten.

Zu Gute halten kann man dem Buch auf jeden Fall, eine sich steigernde Spannung gegen Ende welches in einem schockierend überraschenden Finale gipfelt. Das ist im ersten Moment ein wahrer Donnerschlag und absolut unvorhersehbar, bei genauerem Betrachten aber nicht ganz fehlerfrei. Ich zumindest hab ein klein wenig Probleme damit, dies als „Lösung/Ende“ so zu sehen.

Ich müsste den Thriller wahrscheinlich noch einmal lesen um zu überprüfen, ob solch eine Wendung hieb- und stichfest ist, bzw. ob es nicht Andeutungen diesbezüglich schon gab, welche ich (leider?) vollkommen übersah. Auf mich wirkt das ganze viel zu konstruiert.

Es bleibt ein spannendes Buch mit teils überzeugenden, teil nervigen Charakteren, welches sich in meinen Augen viel zu sehr in blutrünstigen Beschreibungen verliert und der Plot. Ach herje, es wird zwar einiges wissenschaftlich fundiert nachgeschoben, aber diesen pseudo-satanische Kram kann ich nicht ganz ernst nehmen. Ich such mir solche Bücher teilweise gezielt aus, werde aber fast jedes Mal enttäuscht, da sich hinter dieser gesellschaftlich tabuisierten Maskerade des ultimativen Bösen oft nur stereotypische Klischees warten, welche in ihrer scheinbarer Einfachheit der Sensationspresse entnommen zu sein scheinen.

Ich muss daher Karin Slaughter entschieden widersprechen, welche in diesem Buch den großen Überwurf sieht. „Die Sekte“ übertrifft nicht alles, was Mo Hayder bislang geschrieben hat, eingangs erwähntes Buch ist schon ein erstes Zeugnis für meinen Widerspruch – aber für unverfängliche Grausamkeiten und kurzweilige Spannung ist es doch noch gut genug.

Donnerstag, 23. Februar 2012

Josh Bazell - Schneller als der Tod


Es mutet ungemein selbstbewusst und von sich selbst überzeugt an, wenn man auf der Rückseite eines Buches kein Wort über den Inhalt verliert sondern nur fleißig Lobhuldigungen aus allen möglichen Zeitungen zitiert und schon auf dem Cover den eingeheimsten Preis vorführt.
Aber was Josh Bazell hier mit „Schneller als der Tod“ auf die Beine gestellt hat, gibt auch das vollkommene Recht dies zu tun.

Zwar findet sich auf fast jedem drittklassigen Buch irgendein lobendes Wort, aber hier trifft auch jedes davon voll und ganz zu! Der beste Thriller den ich seit sehr, sehr langer Zeit gelesen habe, aber fangen wir von vorne an.

Protagonist ist Dr. Peter Brown, so ziemlich der einzige, fähige Arzt in einem chaotischen Krankenhaus in Manhattan. Allerdings heißt er eigentlich Pietro Brnwa und nicht Peter Brown und war unter dem Namen „Bärentatze“ bekannt und gefürchtet als ein höchst effektiver Mafiakiller.
Seine Doktorarbeit ist nur seine neue Identität, aber diese soll nicht lange geheim bleiben.

Gleich auf den ersten vier Seiten wird er von einem x-beliebigen Räuber überfallen, welchen er fachgerecht und anatomisch korrekt außer Gefecht setzt und zur Vorsorge gleich die notwendigsten Notaufnahmemaßnahmen ergreift.

Und diese ersten vier Seiten geben auch schon den Ton an und zeigen was man erwartet. Eine sehr direkte, ungeschönte Sprache, gepaart mit fachlicher Kompetenz und detaillierten Schilderungen welche Knochen und Sehnen wo verlaufen, brechen, schmerzen und kaputt gehen – verbunden mit knallharter und rasanter Action.
Auch bei Kampftechniken, Schusswaffen, Krankheiten, Operationen – Josh Bazell kennt sich aus, scheint gründlich recherchiert zu haben so dass der Eindruck entsteht, als wisse er über was er schreibt.

Ein paar Dialoge weiter wird er von einem alten Bekannten auch schon als die Bärentatze entlarvt und hat damit ein dickes Problem. Denn die Mafia hat noch ein Hünchen mit ihm zu rupfen und schickt schon die Killerkommandos los. Gleichzeitig warten die verschiedensten Patienten dringend auf Hilfe, welcher die überarbeitenden und nur noch Dank Aufputschmitteln arbeitsfähigen Ärzte mühevoll aufbringen. Und die kann er, als der einzige Arzt mit Durchblick nicht ihren Schicksal überlassen.
Das Gesundheitssystem der USA erfährt so, wie auch vieles andere unterschwellig wie auch offensichtlich eine volle Breitseite Kritik.

Es ist ein irrsinniger Wettlauf, welcher mit einem rabenschwarzen und trockenen Humor getragen wird, welcher kaum zu beschreiben ist. So komme ich nicht umhin eine kleine Passage zu zitieren:
„Himmel“, sagt er. „Soviel ich weiß, hab ich sowieso Krebs.“
„Den hast du.“
„Was heißt das?“
„Ich hab gerade deinen Biopsiebefund gelesen.“
„Himmel! Krebs! Ist es schlimm?“
„Nein, fabelhaft. Deswegen will doch jeder Krebs haben.“

Das wirkt aus dem Kontext gezogen bestimmt nicht so gut, aber das Buch ist voll mit dieser Art des Humors und ironischen, sarkastischen Kommentaren.

Parallel wird dazu auch noch erzählt, wie es zu dem kam, wie es jetzt eben ist. Pietro wuchs bei seinen Großeltern auf, welche ermordet wurden als er gerade mal 14 Jahre alt war. Sein damals bester Freund war der Sohn eines Mafiapaten, welcher sie seiner an nahmen und ihm die Möglichkeit zur Rache boten. Und so beginnt sich das Rad zu drehen.

Das Buch ist ultrarasant, hochspannend, witzig, überraschend, sarkastisch, rundum gelungen und wartet mit einem derart überdrehten, geilen Ende auf, dass man sich seinen Tarentino in dem eh schon bildgewaltigen Thriller direkt ins Wohnzimmer holt.

Richtig, richtig abgefahren und wer jetzt auch nur ansatzweise neugierig geworden ist, sollte sich das Buch sofort zulegen! Denn dann kann ich eine uneingeschränkte Kaufempfehlung aussprechen. Ich will auf jeden Fall mehr davon!

Freitag, 6. Januar 2012

Nicci French – Bis zum bitteren Ende


Nicht nur der Fall an sich ist es, welcher bei „Bis zum bitteren Ende“ von Nicci French zu überzeugen weiß, es ist auch die interessante Mischung der Protagonisten und ihr psychologisches Zusammenspiel, was diesen Thriller ausmacht.

Wir befinden uns in London und sehen die Handlung aus den Augen von Astrid, einem Fahrradkurier welche das zweifelhafte Glück hat, innerhalb kürzester Zeit unmittelbar über zwei Leichen zu stolpern. Astrid lebt zusammen mit 5 Freunden in einer WG und die Dynamik innerhalb dieser WG ist der Dreh- und Angelpunkt des ganzen Romans.
 
Da wäre zum einem Miles, dem Hausbesitzer und gleichzeitig ihrem Ex-Freund, welcher mit seiner neuen, giftspritzenden Freundin Leah in das Haus einziehen und die WG notgedrungen auflösen will oder dazu gedrängt wird dies zu wollen. Aber auch undurchsichtige Charaktere wie Owen oder Mick, die durchgedrehte Pippa, den netten Davy und den sich mehr oder weniger durchschnorrenden Dario.

Die Charaktere streiten sich, sind verschiedener Meinung, reiben sich aneinander auf – aber irgendwie hat man Anfangs noch ein ziemlich heimeliges, wohliges Gefühl.
Spätestens als Leah aber vermehrt auftaucht und die ganze WG aufgrund der Leichenfunde unter Verdacht gerät, ändert sich dies aber zunehmend. Plötzlich redet man hintereinander, Gerüchte werden gestreut und als sich das ganze scheinbar auflöst, kommt zack – ein Wechsel.

Alles was bisher passierte wird jetzt aus der Sicht des Täters erzählt, die ganzen vorherigen, noch harmonischen Szenen bekommen einen herben Beigeschmack und wie auch der Leser es nicht ahnte, sieht man, das niemand der Hausbewohner den wahren Täter für den Täter hält.
Dieser Schnitt ist in gewisser Weise sehr gut gelungen und ein wirklich überraschendes Stilmittel.

Der wesentliche Blick für das Zwischenmenschliche und die gruppendynamische Entwicklung, sowie auch eben jener kühne Umschwung, trösten mit Bravur über das doch sehr rasche Ende und kleinen Schönheitsfehler hinweg.

Den großen, nervenzereisenden Thriller darf man hier nicht erwarten, dafür erhält man aber auch einen trotzdem noch spannenden Roman mit starken Charakteren. Insgesamt eine gute Leseempfehlung.

Mittwoch, 14. Dezember 2011

Donato Carrisi – Der Todesflüsterer


Donato Carrisi’s Erstlingswerk, Der Todesflüsterer,  ist eine wahre Wundertüte, in vielerlei Hinsicht – positiv wie auch negativ. Der Anfang fängt stark an, 6 linke Mädchenarmstücke werden mitten im Wald gefunden, 5 davon können vermissten Mädchen zugeordnet werden. Wer aber ist bitte Mädchen Nummer 6 und wo sind die Besitzer der Arme und wer zur Hölle macht so etwas?

Profiler Goran Gavila bekommt die Aufgabe, genau dies herauszufinden. Ihm zur Seite steht die externe Ermittlerin Mila Vazquez, welche als Expertin für vermisste Kinder ins Team dazu stößt. Und schnell wird klar. Der Täter wartet nur und hat alles längst schon geplant.

Während die gut erarbeiteten und sympathischen Charaktere mächtig mit ihren vergangenen Privatleben kämpfen müssen und etliche Probleme offenbaren, spielt der Unbekannte schonungslos mit ihnen. Sät Misstrauen und Verwirrung, und führt obendrein sarkastisch moralisch zu vergangenen Verfehlungen und Verbrechen scheinbar Unbeteiligter.

Das ganze liest sich gut und flüssig, trotz authentisch versuchter Stimmung (vor allem im forensischen Bereich, bezogen auf Ermittlungsverfahren) und entwickelt einen unwiderstehlichen Sog durch sich immer rasanter überschlagende Ereignisse und Wendungen.

Dem Autor gelingt es, alle paar Seiten mächtig zu überraschen und das bislang Undenkbare möglich zu machen. Selten hat mich seit langem ein Buch dermaßen gefesselt.
Allerdings hängt hier auch gefährlich baumelnd der Fallstrick! Die Story ist ungemein verstrickt und durchplant, dass sie – die „Lösung“ des Falls im Kopf – in Bezug auf Realismus und Umsetzbarkeit leider doch ein wenig angezweifelt werden darf.

Und somit steht hier der Leser dieses Reviews vor dem Dilemma:

Will ich einen ultraspannenden, rasant erzählten und überraschenden Thriller der gehobenen Klasse lesen, darf ich ohne Probleme zugreifen und werde dabei auch sehr gut bedient.

Sollte der Faktor Realismus eine übergeordnete und tragende Rolle spielen, so dürfte es ab dem letzten Drittel kompliziert werden. Nicht das es hier ganz utopisch wird, aber wir bewegen uns durchaus auf einem Level, wo man dran glauben kann oder auch nicht.

Trotzdem würde ich dieses Buch weiterempfehlen, weil es einfach Spaß gemacht hat und sehr gut zu Lesen war. Sollte ich Punkte verteilen müssen, so wäre die Höchstnote allerdings leider nicht zu erreichen, was im Grunde sehr, sehr schade für den mehr als gelungenen Ansatz ist.